Anmerkungen zum Lawinenunglück auf der Jamtalhütte

Als aktuelle Homepage sind wir bemüht, unseren Besuchern immer möglichst umfassende Informationen zu aktuellen Themen zu bieten - so verwiesen wir auch als eine der ersten alpinen Websites auf die Homepage von Jan Rehm, der mit viel Akribie Material zum Lawinenunfall bei der Jamtalhütte gesammelt hat. Einige der aus de.rec.alpinismus zitierten Statements werfen jedoch ein Bild auf die Situation bzw. erheben Vorwürfe, denen wir gerne einige Denkanstösse entgegenstellen möchten. Nicht jeder unserer Leser kennt das Jamtal oder den Summit Club wie seine Westentasche - im Gegensatz zu manchen Schreibern in der Newsgroup de.rec.alpinismus.

Der Respekt vor den Opfern und ihren Hinterbliebenen stellt die Notwendigkeit einer umfassenden juristischen und moralischen Aufklärung und Aufarbeitung des Geschehens außer jeden Zweifel - ebenso haben aber nach unserer Meinung auch die beteiligten Bergführer und der Veranstalter bis zur endgültigen Klärung von Schuldfragen Anspruch auf eine sachliche Behandlung. Keinen sinnvollen Beitrag liefern dabei mit Sicherheit polemische und diffamierende Kommentare in Tageszeitungen oder im Internet, die schon jetzt Antworten auf alle offenen Fragen suggerieren.

Vorwurf 1: "Prinzipielle Unverantwortbarkeit der Durchführung einer Jamtal-Tourenwoche im Hochwinter"

Zahlreiche Meldungen versuchen zu vermitteln, im Hochwinter wären bisher noch nie Skitouren im Jamtal durchgeführt worden, ebenso sei die Hütte aufgrund der hohen Lawinengefahr bisher immer im Hochwinter geschlossen gewesen. Dazu ist anzumerken:

Richtig ist, das bisher vom Summit Club durchgeführte Tourenwochen auf der Jamtalhütte auf die regulären Öffnungszeiten der Hütte beschränkt waren. Grundsätzlich waren diese Öffnungszeiten jedoch keineswegs "immer" so - in der Zeit vor dem zweiten Weltkriegs war die Jamtalhütte sehr wohl im Hochwinter geöffnet, zudem hat der Winterraum der Hütte "schon immer" in dieser Jahreszeit Besuch bekommen - wenngleich überwiegend von erfahrenen Tourengehern und Gebietskennern, die dem Trubel in der Hauptsaison entgehen wollten. Auch in der Woche vom 10.01.2000 bis 14.01.2000 waren bei günstigen Wetter- und Tourenbedingungen zahlreiche Skitourengeher in der Region unterwegs - es ist kaum anzunehmen, dass es sich ausscchließlich um "Katastrophentourismus" infolge des Lawinenunglücks gehandelt hat. 

Somit bleibt als Fakt lediglich stehen, dass die Wahrscheinlichkeit, im Früh-/Hochwinter günstige Bedingungen anzutreffen, geringer ist, als in der für das Jamtal typischen Tourensaison. Die Durchführung von Skitouren im Jamtal z.B. ab dem Monat März stellt jedoch im Umkehrschluß keineswegs eine Garantie für günstige Tourenbedingungen oder eine Garantie gegen die Lawinengefahr im Zustieg durch das V-Tal oder ein "Einschneien" auf der Hütte dar. Aussagen, im Winter sei "das Jamtal" aus gutem Grund bisher "generell gesperrt" gewesen, vermitteln ein völlig an der Realität vorbeigehendes Bild, insbesondere bei Nichtbergsteigern, die hier an ein Verbot im Sinne "gesperrter Pisten" denken könnten.

Der anfangs vom Veranstalter erwogene Hubschraubertransport der Gäste zur bzw. von der Hütte zur Vermeidung des Hüttenzustiegs bei akuter Lawinengefahr ist möglicherweise aus ökologischer Sicht fraglich. Jedoch wird hierdurch nicht die Durchführbarkeit von Touren im Umfeld der Jamtalhütte a priori in Frage gestellt.

Vorwurf 2: "Unfall infolge der grenzenlosen Kommerzialisierung des Bergsteigens durch den DAV-Summit Club"

Über den prinzipiellen Sinn von organisierten Millenniums-Veranstaltungen wie auf der Jamtalhütte oder Franz-Senn-Hütte kann man als die Stille suchender, naturverbundener, selbständiger Bergsteiger sicher streiten. Außer Zweifel steht aber auch die Tatsache, dass jedes Wirtschaftsunternehmen seinen Kunden möglichst attraktive Unternehmungen anbieten möchte (und auch muß), um konkurrenzfähig zu bleiben. Das hierbei manchmal auch Wege beschritten werden, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen, kann wohl kein Unternehmen ausschließen. In der grundsätzlichen Bewertung von Marktstrategien aber zwischen einem "bösen", weil umsatzstarken DAV-Summit Club und der "guten" kleinen lokalen Bergschule (frei nach dem Motto: "Hier führt der Chef noch selbst") zu unterscheiden, ist wohl ebenso fraglich wie die Unterscheidung zwischen "bösen" kommerzorientierten hauptberuflichen Bergführen und "guten" ehrenamtlichen und nebenberuflichen Führen. Letztendlich trägt jeder, der seine eigene Begeisterung für das Bergsteigen gegen Geld an andere weitergibt, auch zu einer Kommerzialisierung des Bergsteigens bei, sei es als Bergführer, Fachübungsleiter, Führerautor oder Redakteur. 

Den Vorwurf, dass der Summit Club aus Profitgier bereits in der Planungsphase das Leben seiner Kunden leichtfertig aufs Spiel gesetzt habe, wird nach kurzer Überlegung wohl niemand ernsthaft aufrecht halten können. Verunglückte Kunden sind schlechte Kunden und die schlechteste Werbung überhaupt. Ebenso spricht gegen eine hohe Risikobereitschaft die Tatsache, dass in der 30 jährigen Geschichte des Summit Club dies der erste Lawinenunfall im Alpenraum mit tödlichem Ausgang überhaupt ist - bei den bekanntermassen erhöhten Risiken des Winterbergsteigens spricht dies für sich. Eine erhöhte Risikobereitschaft der Bergführer aus "Profitgier" ist im vorliegenden Fall auch völlig absurd, da die Bezahlung der Führer ja in keiner Weise von der Anzahl der durchgeführten Touren abhängt.

Vorwurf 3: "Nichtssagende Pressemitteilungen und Vertuschungspolitik des DAV-Summit Club"

Scharfe Kritik lösten die wenig konkreten Aussagen des Summit Club (Pressemitteilung des DAV, diverse Fernsehinterviews von Günther Härter) zu dem Lawinenunglück aus , ebenso wurde sofort der Vorwurf einer Vertuschungspolitik laut, da von mancher Seite der Eindruck vermittelt wurde, allein der Summit Club entsende eine Expertenkommission zum Unfallort (... bei hauseigenen Experten würde das Ergebnis der Untersuchung wohl schon im Vornherein feststehen...)

In Anbetracht der anfänglich peinlichen und fehlerhaften Bereichterstattung der seriösen wie auch der Regenbogenpresse über den Unfall ist die Zurückhaltung des Summit Clubs bis zur weitgehenden Klärung aller relevanten Sachverhalte meines Erachtens nach durchaus wohltuend. Was bringen letztendlich Informationen, die sich nach kurzer Zeit als unrichtig herausstellen und revidiert werden müssen? Auch, dass sich ein Unternehmen in einer unklaren Situation hinter seine Angestellten stellt und bis zur Aufklärung Vorwürfe zurückweist, ist wohl nachzuvollziehen. Vermutlich jeder von uns würde von seinem Arbeitgeber in vergleichbaren Situationen eine ähnliche Rückendeckung als selbstverständlich erachten. 

Der Vorwurf einer versuchten Vertuschung durch den Summit Club ist absurd: Wenn die österreichische Staatsanwaltschaft Anklage gegen die beteiligten Bergführer erhebt, bestimmt auch sie als ermittelnde Instanz die Zusammensetzung der Expertenkommission, und nicht der Summit Club. Somit kann die vom Summit Club entsandte Expertenkommission allenfalls der unternehmensinternen Untersuchung des Falls oder der Vertretung des Unternehmens in zu erwartenden Prozesse dienen, und dies ist ja wohl völlig legitim.

Vorwurf 4: "Vorhersehbarkeit des Unfalls infolge des Lawinenlageberichts"

Solange ausgewiesene Lawinenexperten nach der Besichtigung des Unfallorts mit Verwunderung und einer gewissen Sprachlosigkeit reagieren (und dies nicht ob der Verantwortungslosigkeit der beteiligten Bergführer!), wirkt es etwas deplaziert, wenn sich "Hobby-Lawinenkundler", die ihren "Munter" gelesen hat, vom grünen Tisch aus sehr weit aus dem Fenster lehnen. Bekanntermaßen ist Lawinen die Qualifikation des betroffenen Tourengehers egal, manchmal aber auch der Lawinenlagebericht, wie die Lawine an der Zugspitze verdeutlich hat. Somit bleibt allen Kritikern der beteiligten Bergführer, denen so etwas "nie passiert wäre", zu wünschen, als Verantwortliche für eine Gruppe tatsächlich nie in eine ähnliche Situation zu kommen. Übrigens, selbst Munter ist in seinem Buch beim Thema Schuldzuweisung äußerst zurückhaltend (siehe S. 186, Kapitel 18.3 "Der Vorhersehbarkeitsbeweis"):

"Die Anwendung des Lawinenlageberichts auf einen bestimmten Geländeabschnitt läßt einen weiten Interpretationsspielraum. Zudem betragen die normalen lokalen Abweichungen von regionalen Durchschnitt plus/minus eine Gefahrenstufe, was den Wert des Lawinenlageberichts stark relativiert."

"Der Lawinenlagebericht muß nach dem Unfall auf seine Richtigkeit geprüft werden. Die Wahrscheinlichkeit , daß er falsch ist, ist bei einer Trefferquote von rund 65% recht hoch. Entscheidend ist die tatsächliche Schneedeckenstabilität hier und jetzt und nicht die Prognose."

Vor diesem Hintergrund sind Postings der Art "kann mir mal jemand Daten zu Schneehöhe, Schneetemperatur, Windgeschwindigkeit in Bodennähe, Kristallform und Schneedeckaufbau am Unfalltag übermitteln", um kurz darauf ein abschliessendes Urteil zu fällen, an Peinlichkeit kaum zu überbieten..

Im übrigen hat auch der Hüttenwirt die Lawinenlage am Unfalltag und die Spuranlage keineswegs als so kritisch eingeschätzt, wie es jetzt mancher unterschwellig darzustellen versucht.

Die Tatsache, dass offensichtlich Lawinengefahr bestanden hat, läßt sich angesichts des Unfalls nicht wegdiskutieren. Richtig ist auch, dass durch Entlastungsabstände die Zahl der Opfer hätte möglicherweise reduziert werden können (bei Selbstauslösung zumindest durch geringere "Dichte" der Teilnehmer im betroffenen Hang). Die Anordnung von Entlastungsabständen setzt aber das Erkennen einer Bedrohung voraus und ist sicher nicht nur eine Frage der Lawinenwarnstufe. Dass die Gefahr nicht erkannt wurde, sollte eine eindringliche Mahnung an alle Skitourengeher sein. Wer glaubt wirklich, dass als sehr umsichtig bekannte Bergführer über Nacht zu leichtfertigen Hassardeuren werden, das Leben ihrer Gruppe aufs Spiel setzen oder so etwas Elementares wie Belastungsabstände bei offensichtlicher Gefahr "vergessen"? So eindeutig kann die Situation nicht gewesen sein, wie man sich es sich jetzt vielleicht hinsichtlich der sicheren eigenen Durchführung von Skitouren wünschen würde.

"Jede komplexe Situation läßt sich beliebig vereinfacht darstellen, die Darstellung wird dadurch aber auch beliebig falsch".

Euch allen wünschen wir eine unfallfreie Tourensaison

Stefan Ringmann

First Out - Bergsport

Die obige Darstellung stellt die persönliche Meinung des Verfassers dar und gibt nicht zwangsläufig die Meinung der First Out - Redaktion wieder.